Früher war der Winter weiß, heute ist er eher grau. Er fühlt sich für die meisten Menschen wie ein langer und nicht enden wollender Novembertag an: nasskalt, trist und schmuddelig. Die Tage sind kurz, die wenigen Sonnenstunden verbringt man meist noch im Büro. Was dem realen Sonnenmangel dann häufig folgt ist die nicht minder reale „Sonnenfinsternis im Gemüt“ – die Winterdepression, im Fachjargon gleichermaßen trist als „saisonal abhängige Depression“ (SAD) bezeichnet. Als Betroffener möchte man sich dann am liebsten unter einer Decke verkriechen, schlafen und noch mehr schlafen, kiloweise Kohlenhydrate naschen und erst im Frühjahr wieder vor die Tür gehen. Die Winterdepression ist ein durch und durch saisonales Phänomen: Sie beginnt Jahr für Jahr in den Herbstmonaten, im Frühling darauf verschwindet sie wie von Zauberhand. Wissenschaftlich beschrieben klingt diese Unterform der Depression so:

Die saisonal abhängige Depression (saisonale depressive Störung nach F33) ist ein bestimmter Subtyp der rezidivierenden depressiven Störung, die mit einem saisonalen Muster auftritt. Dabei ist die „Winter“-Depression die am meisten verbreitete Art der saisonal abhängigen Depression, bei der Patienten Symptome einer klinischen Depression zeigen, speziell im Herbst und Winter, die sich im Frühling und Sommer wieder vollständig zurückbildet.

(Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression, 2. Auflage, 2015)

Alle Jahre wieder

Die Winterdepression ähnelt in ihrer Symptomatik zwar der „echten“ Depression, allerdings ist in Fachkreisen umstrittenen, ob die Bezeichnung als „kleine Schwester der Depression“ wissenschaftlich überhaupt haltbar ist. Warum? Zunächst: Die Patienten – allein in Deutschland geht man von mindestens 800.000 Betroffenen aus – leiden unter Müdigkeit, Antriebslosigkeit und einer insgesamt melancholischen Verstimmung bei deutlich herabgesetzter Leistungsfähigkeit. Dies sind im Grunde die Symptome einer „klassischen“ Depression, nur dass es für die winterliche Energielosigkeit und übermäßige Traurigkeit eine klar definierte Ursache gibt: Schuld ist vor allem die fehlende Sonne! Die Dunkelheit kurbelt die Melanin-Produktion an, der Körper wird in der Folge müde und träge. Insgesamt ist die Winterdepression milder als eine klassische Depression – und bei weitem besser therapierbar.

Aber es gibt noch weitere Unterschiede zwischen Winterdepression und „klassischer“ Depression: Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Menschen mit einer klinischen Depression unregelmäßig schlafen. Besonders häufig treten Einschlafstörungen durch eine Neigung zum Grübeln auf, hinzu kommen meist mehrmaliges nächtliches Erwachen mit langen Wachphasen sowie morgendliches Erwachen lange vor dem Wecksignal. Auch das gesteigerte Verlangen nach Süssigkeiten ist kein Merkmal einer klinischen Depression: Betroffene leiden hier eher an Appetitlosigkeit und folglich unter Gewichtsverlust. Es gibt aber noch weitere wichtige Abgrenzungskriterien: vermindertes Selbstwertgefühl bzw. Selbstvertrauen, Ängste, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven oder auch Suizidgedanken. Mitunter können Patienten depressive Symptome nicht zuordnen und vermuten bei ihren Beschwerden eher organische Ursachen, schildern verschiedene körperliche Beschwerden oder allgemeines Unwohlsein. Treten die oben genannten Symptome auf, ist unbedingt eine medizinische und/oder psychotherapeutische Behandlungsbedürftigkeit abzuklären. In allen anderen Fällen kann die folgende Empfehlung meist für rasche und vor allem anhaltende Abhilfe sorgen:

Mehr Licht!

Wenn es überhaupt irgendetwas Gutes über die Winterdepression zu sagen gibt, dann dies: Als Patient ist man dem kosmischen Lauf der Gestirne eben nicht machtlos ausgeliefert! Es gibt in Form der Licht- oder auch Phototherapie ein probates Gegenmittel, um der „Sonnenfinsternis im Gemüt“ Herr zu werden! Das bevorzugte Gerät für eine solche Therapie ist eine Lichtquelle, die weißes, fluoreszierendes Licht abgibt, bei dem der UV-Anteil herausgefiltert wird. Die erzeugte Lichtintensität sollte über 2.500 Lux liegen. Die anfängliche Dosis bei einer Lichttherapie beträgt 10.000 Lux für 30 bis 40 Minuten pro Tag, die jeden Morgen – und zwar so rasch wie möglich nach dem Erwachen! – wenigstens zwei bis vier Wochen lang verabreicht wird. Bei Verwendung von Lichtquellen mit einer Intensität von 2.500 Lux erhalten Patienten zwei Stunden Lichttherapie pro Tag. Die richtige Platzierung der Lichtquelle während der Therapie ist hierbei entscheidend: Patienten sollten höchstens 50 bis 80 Zentimeter von der Lichtquelle entfernt sitzen. Die Augen müssen geöffnet sein und dürfen nicht z.B. mit einer Sonnenbrille verdeckt werden. Betroffene Patienten berichten normalerweise innerhalb einer Woche von einer messbare Besserung, jedoch kann es bis zu vier Wochen dauern, bis eine vollständiger Response erreicht wird.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass die meisten Patienten (jedoch nicht alle!) eine rasche Wiederkehr der depressiven Symptome nach dem Absetzen der Lichttherapie zeigen. Da keine Kontraindikationen der Lichttherapie bekannt sind, sollte die Therapie daher nach Möglichkeit in den dunklen Monaten unverändert weitergeführt werden. Patienten mit Augenerkrankungen sollten vor der Behandlung einen Facharzt aufsuchen. In klinischen Studien traten vereinzelt Sehstörungen, Kopfschmerzen und Übelkeit auf; sämtliche Symptome verschwanden bereits kurz nach Therapiebeginn und waren zudem nur mild ausgeprägt.

Winterdepression unbedingt ernst nehmen

Auch wenn der Winterdepression mit Lichttherapie und viel Freizeit im Freien gut beizukommen ist, sollte man dieses Krankheitsbild keineswegs verharmlosen. Die Winterdepression ist eben nicht nur einfach ein „Winterblues“ (wiss. subsyndromale SAD)! Patienten leiden deutlich unter den Symptomen und sind über einen längeren Zeitraum in ihrer Lebensgestaltung eingeschränkt. Daher empfiehlt es sich, dieser unangenehmen Begleiterscheinung des Winters früh vorzubeugen. Mediziner raten in aller Regel zum sogenannten „Gesundmarsch bei Tageslicht“. Zu Recht! Wer täglich eine Stunde zu investieren vermag, wird zumindest einen Teilerfolg erzielen. Allerdings nur, wenn der Patient wirklich täglich dem ärztlichen Rat folgt, denn auch beim trübsten Wetter reichen die Sonnenstrahlen dem menschlichen Körper noch immer für eine ausreichende Vitamin-D-Produktion aus. Wer die Symptome richtig deutet und entsprechend handelt, kann im Winter die große „Sonnenfinsternis des Gemüts“ erfolgreich umgehen und sich jahreszeitenunabhängig Lebensfreude und emotionales Gleichgewicht bewahren.